Theater · Tour

Mit dem Goethe – Institut durch Kurdistan

 

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Vom 23.-26.3.2015 reiste das Duo Desolato durch Kurdistan. Wir würden vom Goethe-Institut aus Erbil eingeladen und tourten durch Suleymania, Erbil und Dohuk. Wir spielten an allen Pasch Schulen Kurdistans und organisierten schlussendlich 2 spontane Gigs in Flüchtlingscamps in der Region Dohuk. Viele neue Freunde und unbeschreibliche Momente, hier ein Ausführlicher Reisebericht über ein gespaltenes Land:

„Gespaltenes Kurdistan“

Ich sitze im Gate 204 nach dem Check In auf dem Boden des National Airport Erbil. Meine Jeans riecht noch nach Rauch, da ich noch vor ein paar Stunden mit ein paar Jungs auf einem selbstgeschweissten Grill, Chicken- und Shishkebab Spiesse gegrillt habe. Einer der vielen Imbisse im Armenviertel von Erbil, jedoch soll er für seine exzellente Marinade bekannt sein. Ich habe mit ein paar Männern im Teehaus gescherzt, Facebookkontakte getauscht und bin danach zum packen wieder ins Hotel gefahren.
Es liegen 7 Tage Kurdistan / Irak hinter mir. 5 Shows in Pash-Schulen, eine Tour durch Suleymania, Erbil und dem von Flüchtlingen belagertem Duhok. Wie nicht anders erwartet wurden wir aufs Herzlichste empfangen.
Ich sehe einem Mann in die Augen, er bietet mir sofort ein Stück Leber von seinem Grillspieß an. Er fragt „American“ ? und der Spieß in seiner Hand verwandelt sich kurz in einen Dolch für mich. Ich lache und nehme dankend an.
Gestern waren wir noch in Duhok und haben in zwei kleinen Flüchtlingscamps gespielt. Das Erste war auf der Materialhalde einer Villenneubausiedlung, der Kontrast hätte nicht größer sein können! In einem von den Hilfsorganisationen mit Kies aufgeschüttetem Schlammloch steht eine Ansammlung von Zelten. 700 Menschen sollen hier leben (das größte Camp fasst 30.000)! Die Infrastruktur steht, es gibt Toiletten,Wasser, Bäder, Küchen und viele Zelte. Selbst gebaut oder mit Aufdrucken von bekannten NGO´s. Die Sonne erwärmt das Land mit ersten Frühlingsstrahlen. Wir entscheiden uns für den zugemüllten Bolzplatz als Spielort. Adrian einer der „Grünhelme“ läuft mit einer Gitarre durchs Camp und pariert als Werbung für unser Theater. Der Kontakt zu Adrian wurde uns durch das Theaterhaus Mitte weitergeleitet, die immer wieder Hilfsaktionen in diese Region starten. Es stellt sich heraus, das wir uns kennen. Ich habe Ihn vor 8 Jahren in Frankreich bei meiner Europareise nach der Zirkusschule beim trampen mit genommen. Er blieb ein paar Tage zu gast in meinem Wohnmobil und wir hatten eine gute Zeit. Danach haben wir uns nie wieder gesehen. Jetzt läuft dieser verrückte halbmexikaner durch ein Flüchtlingscamp, koordiniert und trommelt die Kids für unsere Show zusammen !!!
Ein Tag zuvor spielten wir in einer Pash-Schule mit einer Bühne mit kitschigem Wasserfalllandschaftsportrait und riesiger kurdischer Fahne im Hintergrund. Das Backstage ist eine schäbige Abstellkammer mit einem versifften Sofa als Inventar. Die ganze Schule strömt rein und der Rektor sagt, das vor unserer Vorstellung noch ein kleines Theaterstück von den Schülern gezeigt wird. Eine deutsch sprechende Lehrerin übersetzt. Eines handelt von der Unterdrückung der Frauen, das andere ist eine Propaganda für die Peschmerga mit dem Schlusssatz „Peschmerga oder Tod“.
Wir befinden uns in einem Land im Krieg. Manchmal merken wir das nicht sofort, da wir uns auf einer anderen Ebene bewegen. Das Goethe Institut hat gute Hotels für uns gebucht, wir haben einen Fahrer der perfekt deutsch spricht und wir spielen für lachende Kinder und Jugendliche in Schulen. Einmal bekommt eine Lehrerin während unserer Show so einen Lachanfall, das wir von der Bühne gehen, um Ihr ein Wasser zu Beruhigung zu geben.
Schaltet man das Fernsehen oder Radio ein, laufen Kriegsberichte oder Peschmerga Propaganda. Die Songs sind patriotisch und verherrlichen diese Kampfeinheit. Peschmerga ist hier Pop. Tatsächlich ist es neben der PKK die einzige ernst zu nehmende Opposition gegen IS. Wir hören Schreckensgeschichten von verkauften Frauen und Geschichten die man aus den Nachrichten kennt. In den letzten 3 Tagen hat IS 11 Dörfer überfallen. Mosul ist komplett IS besetzt und etwa 60 km von hier entfernt. Eine Bestie die das Land verwüstet und die ganze Welt zum Atem anhalten bringt. Auf der syrischen Seite ist es noch viel schlimmer. Es gibt kein Benzin und so gibt es Kraftstoffbrennereien die unter extrem gefährlichen Bedingungen brauen. Die Menschen verdienen sich irgendwie in der not mit Allem ihr Geld. Sie arbeiten als Spitzel für die Peschmerga oder IS und verraten Konvois die die Strassen passieren.

Kurdistan ist voll von Baustellen. Es wird wie verrückt investiert. Zur Zeit liegt jedoch aufgrund der Krise alles still. Beamte haben seit Monaten keine Gehälter ausbezahlt bekommen. Der Staat braucht Geld für den Kampf. In Kirkuk, das auf einer der größten Ölfelder der Welt gebaut wurde, haben die Männer der Stadt die vor der Türe stehende IS selbst vertrieben. Waffen gibt es genug in diesem Land! Die Iraker sind ein extrem stolzes Volk, der Krieg, die Ausbeute, ein geteiltes Volk und eine katastrophale Politik seitens der Amerikaner haben eine patriotisches Bewusstsein hervor gerufen, das bereit ist zu kämpfen, bis in den Tod.

In all diesem Wirrwarr ist jedoch Alltag. Die Jugend fährt neue Autos, trägt westliche Mode, twittert und studiert. Der Blick ist nach vorne gerichtet, man kann hier viel Geld verdienen.
In Erbil wird eine neue Downtown gebaut, ein 3 Milliarden schweres Megaprojekt dessen Skyline an Städte wie Dubai erinnert.
Shoppingmalls schiessen aus dem Boden, Starbucksimitate laden zu übersüßem Kaffee mit bunten Streuseln als Topping ein, große Screens zeigen die Luxusgüter einer modernen, reichen Gesellschaft.
Die Medien berichten vom Befreiungsschlag des IS in Mosul im Frühjahr. Geschätzt 2000 Terroristen belagern die Millionenstadt. IS muss bekämpft werden, aber es wird auch einen weiteren Flüchtlingsstrom in Gang setzten. Es fällt schwer Stellung zu beziehen. Ich bin überzeugter Pazifist, was in unseren Zeiten meist schon als Naiv abgetan wird. Es ist klar, das Land muss vom Terror befreit werden! Aber IS ist eine Ausbrut jahrelangen Krieges. Da wo Bomben fallen, wächst mehr Hass. Es ist ein Teufelskreis der mir angst macht.

Ein elternloses Pulk von Kindern organisiert sich in einem Camp zu einem anarchistischen Pack. Verzauste Rotznasen spielen und prügeln sich im Staub. Ich greife erst ein als einer der Kleinen einen großen Stein aufhebt, um sich gegen den anderen jungen zu wehren. Sie sind kaum zu bändigen-welche Zukunft liegt vor Ihnen, welch Trauma in ihren kleinen Herzen…
Mittlerweile sitze ich im Flieger nach Istanbul. In ein paar Stunden schliesse ich meine eigene kleine Familie in Berlin in meiner Arme. Den Sommer verbringen wir gemeinsam auf Tour im Wohnmobil…

März 14, 2015 • #, #, #, #, #, #, #, #, #, #

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